«Das EU-Abkommen betrifft Föderalismus und direkte Demokratie», sagt Andreas Glaser.

Von Dr. René Scheu
In der NZZ haben Sie jüngst bemerkenswerte Aussagen zum geplanten Abkommen zwischen der Schweiz und der EU gemacht: «Mir scheint, dass man sich über die institutionelle Tragweite des Abkommens nicht überall im Klaren ist.» Und: «Das Parlament würde spürbar an Bedeutung verlieren.» Welche Reaktionen hat es auf das Interview gegeben?

Konkret: für wie einschneidend halten Sie das EU-Abkommen in einer Skala von 1 bis 5?

Zur Person

Prof. Dr. Andreas Glaser ist Jurist und seit August 2019 Ordentlicher Professor für Staats-, Verwaltungs- und Europarecht unter besonderer Berücksichtigung von Demokratiefragen an der Universität Zürich. Glaser ist seit 2013 als Leiter der Abteilung Centre for Research on Direct Democracy (c2d) am Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) tätig und Mitglied der Direktion. Von 2017-2020 bekleidete er das Amt des Vorsitzenden der Direktion des ZDA. Glaser habilitierte sich 2012 an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. 2007 erlangte er das Zweite Juristische Staatsexamen, 2005 die Promotion an der Universität Bayreuth. Von 1997-2002 studierte er Rechtswissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Giessen.

Vertreter von Politik, Wirtschaft und Kantonen haben sich bisher eher zurückhaltend-positiv zum EU-Abkommen geäussert. Wie erklären Sie sich, dass bisher kaum leidenschaftlich darüber debattiert wird, wenn es doch so wichtig ist?

«Diejenigen, denen das Abkommen wirtschaftlich etwas brächte, möchten wohl nicht zu viel Staub aufwirbeln.»
Andreas Glaser

Sie haben sich dafür ausgesprochen, dass das Abkommen nicht nur dem Volks-, sondern auch dem Ständemehr unterstellt wird. Astrid Epiney, Professorin für Europarecht an der Universität Freiburg, widerspricht und nennt dies sogar «verfassungswidrig». Ihr Argument: das neue Abkommen gehe weniger weit als der EWR, über den die Schweiz 1992 abgestimmt hat. Dagegen wird eingewendet, dass beim EWR ein neutraler Gerichtshof im Spiel gewesen wäre. Im neuen Abkommen übernimmt der EUGH diese Rolle – also das Gericht der Gegenpartei. Wie ordnen Sie die Diskussion ein?

Sure?

Bisher nahm man in der Öffentlichkeit vor allem Rechtsprofessoren wahr, die sich prominent hinter ein institutionelles Rahmenabkommen stellten. Wo sehen Sie die Differenzen?

«Die Funktion der Wissenschaft besteht darin, neue oder bislang kaum beachtete Argumente zur Diskussion beizusteuern.»
Andreas Glaser

Rechtsstaat und Demokratie bedingen einander, können aber gleichzeitig in Konkurrenz zueinander stehen. Ist es die Beobachtung richtig, dass in der Schweiz die demokratische Tradition stärker ist als die Rechtsstaatstradition und sich daraus die unterschiedlichen Positionen erklären lassen?

«Soft Law» läuft dem «Hard Law» zunehmend den Rang ab. Gemeint damit sind Vorgaben von internationalen Organisationen, die zwar keine demokratische Legitimation besitzen und keine rechtliche Basis kennen, aber doch politisch enorm einflussreich werden können. In den letzten Jahren hat die Schweiz aufgrund des «Soft Law»-Drucks viele Regelungen übernommen, insbesondere im Steuerbereich. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?

Grundsätzlich offenbart das «Soft Law» ein Problem zwischen Technokratie und Demokratie. Wie nimmt sich der Staatsrechtlicher dieses Problems an?

Das IWP hat ein umfassendes Freihandelsabkommen mit der EU in der Tradition des CETA-Abkommens mit Kanada als Alternative ins Spiel gebracht. Die Überlegung ist, dass der Wohlstand der Schweiz von konkreten Handelserleichterungen abhängt und nicht von der institutionellen Einbindung in die Entscheidungsmechanismen der EU. Was sagt der Rechtsgelehrte zu dieser Sicht?

Dynamische Rechtsübernahme: Für den Laien hört sich das so an, dass dieser Mechanismus der institutionellen Einbettung einen Demokratieabbau mit sich bringt. Gleichzeitig bringt es eher Rechtsunsicherheit, wenn man sich vertraglich darauf einigt, prospektive Rechtsanpassungen ohne demokratische Entscheidung einfach zu übernehmen. Macht der Laie einen Denkfehler?

Inwiefern genau?